Mutig & Stark - meine Schwester Elli

WIE ICH DIE GESCHICHTE WIEDERFAND...

 

Lautes, erstauntes Lachen füllte den Raum. Amüsiert beobachtete ich meine fünf Jahre ältere Schwester, wie sie den Kopf schüttelte und den Löffel in ihrem Wiener Melange Cappuccino langsam hin und her bewegte.

Sie trug einen großen Kapuzenpullover und hatte eine gemütliche Hose an. Die Haare waren ordentlich gekämmt und die Fingernägel glänzten. Das war Elli.

Wir hatten einen unserer ausgelassenen und schönen Abende. Dann saßen wir zu dritt zusammen – Mama, Elli und ich – wir hatten uns gemütlich im Zimmer verteilt und erzählten uns Geschichten.

 

Es waren die Geschichten aus einem langen und etwas bizarren Lebensweg, der bereits hinter uns lag. Elli konnte sich die Geschichten, die sie erlebt hatte, nicht merken. Ihr defektes Kurzzeitgedächtnis wollte diese vielen Informationen nicht mehr abspeichern und wir hatten dafür ein umfassendes Repertoire an feinen Anekdoten, die wir dann mit guter Laune zum Besten gaben, während sie sich kaputt lachte.

Manchmal warf sie uns vor, wir würden uns das ausdenken. Aber das machte die ganze Situation nur noch lustiger.

Dabei waren der Weg und seine Erlebnisse gar nicht immer so lustig. Aber wir fanden es einfach leichter, die Jahre voller Krankheit und Schwere nicht so schwer zu nehmen.

 

Ich mag erzählen und ich mag Hoffnung.  

Hoffnung definierte unseren Weg sowieso. Wir glaubten an Gott und wir glaubten an Besserung. An sein Eingreifen und daran, dass irgendwann das so sehnlichst erwartete Wunder doch noch eines Tages eintreten würde. Wir hofften, dass alles gut wird. Bis dahin bemühten wir uns, miteinander stark zu bleiben und manchen Abend eben mit diesen Geschichten zu füllen.

 

„Boah Elli, irgendwann schreiben wir ein Buch!“, sagten wir wieder und wieder. Zwar hatten wir es nie genauso datiert, aber es sollte gerne das finale Ende einer Besserung beinhalten. Dann würden wir ihre Geschichte der ganzen Welt erzählen. Die Geschichte von einer so harten Reise und all seinen Prüfungen, mit dem schließlich mutmachenden und hoffnungsversprühenden Ende. Ja, das klang fein. Richtig rund. 


Ständig beschwerte Elli sich dann, sie könnte doch nicht so gut reden. So entstand der Plan in unserer gemütlichen Abendromantik, ich würde die Geschichte für sie erzählen. Worte fallen mir einfach leichter. Na halt so, wie Mose und Aaron in der Bibel. Schließlich wollte Mose auch nicht so recht antreten, als Gott ihn schickte, weil ihm das Sprechen einfach nicht so gelang. So musste Aaron ran. Rede du für ihn, Aaron. Elli würde dann still lächelnd, aber wissend nickend neben mir stehen - so hatte ich mir das vorgestellt.

Ich wollte also Ellis Aaron sein. Ich wollte ihre wunderbare Geschichte erzählen.

Irgendwie warteten wir halt noch auf die Fortsetzung, weil aktuell war sie irgendwie noch so im Prozess – die schöne Geschichte. Gott würde sie halt noch schön schreiben. So sah das in meinem Kopf aus.

 

Dann kam der Dezember 2018.

Elli ist einfach gestorben.


Ich war dermaßen sprachlos. Was in aller Welt sollte ich denn jetzt erzählen?

Unsere Geschichte war mit Elli gemeinsam gestorben und ins Grab gelegt worden. Sie war nun auch nichts, was man erzählen wollte. Anfangs hatten alle noch Mitleid, doch irgendwann legte sich das Thema und genauso still wie ich, waren auch alle um mich herum.

Das war richtig dumm gelaufen. Nun hatten wir eine blöde Geschichte voller Traurigkeit, Krankheit und Leid – zwar auch mit Hoffnung – aber sie endete mit dem Tod. Davon konnte man nicht viel berichten. Weder Hoffnung noch Mut weckte sie.

Alles schien still zu stehen.

Unsere Geschichte war fort.

Ich war alleine geblieben.

 

Ein Liedzitat beschreibt es wunderbar „You take what the enemy meant for evil, and you turn it for good“ (Du nimmst das, was der Feind zum Bösen gedacht hat, und wendest es zum Guten- nach 1.Mose 50,20)

Fünf Jahre lang beschäftigte sich Gott mit mir - mit allen meinen Fragen. Er pflanzte Samen am Wegesrand und beobachtete mit mir gemeinsam wie daraus Offenbarungen sprießten, die reichlich bunte Frucht brachten. Es war ein Weg alleine. Ich war ganz und gar ehrlich und offen mit ihm unterwegs. In mir drin. Ein sehr spannender Prozess voller Hingabe, Gehorsam und alleiniger Abhängigkeit von ihm.

Ich hatte nicht das Ziel, Antworten zu finden, um die Geschichte aufzuschreiben. Ich fand einfach Antworten und Frieden für mein Herz.

 

Aber vor allem merkte ich: Es gibt so viele Menschen, die inmitten all der Wundergeschichten drum herum den Verlauf ihrer eigenen Geschichte als Niederlage empfinden. Was passiert denn mit denen, die kein Wunder erlebt haben, so wie erhofft? Die werden meistens sehr still. Denn was will man schon erzählen? Man will ja nicht, dass andere anschließend denken, Gott könne etwas nicht, oder hätte versagt. Oder man selber hätte wohl einen zu kleinen Glauben oder andere Makel, die erklären würden, warum es so enttäuschend ausgegangen ist. Zum Schutz der Fähigkeit und Glaubwürdigkeit unseres Gottes und der eigenen Person bleibt man lieber still. 

 

Ich verstand so vieles über Gott und das Leid und uns selber. Ich entdeckte Glaube, fern von der Erfüllung unserer Erwartungen. Ich heilte. Und ich merkte, ich habe eine Geschichte – Elli und ich haben immer noch eine Geschichte, die wir erzählen können.

Leider muss ich sie jetzt alleine erzählen, aber umso mehr will ich es tun.


Ich saß beinah etwas ehrfürchtig im Dezember, exakt fünf Jahre nach ihrem Tod, an meinem Schreibtisch und starrte auf die letzten Worte, die das Ende meines Manuskriptes bildeten.

Fertig.

Die Geschichte, die wir erzählen wollten, ist fertig. Wie besonders. Leider muss ich sie nun alleine erzählen, aber Ellis traumhaft schönes Foto auf dem Cover macht sie ganz real und gibt mir das Gefühl, dem ausgeheckten Plan doch noch gemeinsam nachzukommen.

Das ist sie also.

 

Die Geschichte, die wir erzählen wollten.

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