Die Birme

Manche Fehler braucht man nicht zu suchen. Sie winken uns direkt fast etwas freundlich zu. Als wollten sie gesehen werden. Ich behaupte, wir finden diese Art von Fehlerhaftigkeit auch bei uns. Wir sehen Fehler an uns, die so offensichtlich sind, meinen wir. Oft ist es ja die eigene Wahrnehmung, aber es gibt dennoch auch Fehler, die unser Umfeld auch wahrnimmt. Etwas, das so offensichtlich nicht richtig an uns ist, wir glauben, es disqualifiziert uns für fast alles, das uns begegnet. Vermutlich ist es bei manchen etwas äußerliches, aber eher sind es ja die charakterlichen Schwächen, die wir umgehend aufzählen könnten und die uns begleiten, treuer als manch ein Freund.

 

Der Punkt ist wohl, dass wir davon überzeugt sind, es wäre diese eine Sache, die den Beginn einer anderen unmöglich machen. Wir disqualifizieren uns selber für eine Aufgabe, die Gott für uns hat, weil wir unsere Fehlerhaftigkeit zu deutlich vor Augen haben. Es mag sogar sein, dass die Schwäche, die uns überschattet, tatsächlich ein Grund wäre, eine gewisse Aufgabe lieber an andere abzugeben. Doch hier kommt der Haken:

Gott denkt das irgend warum nicht.

Als Gott nach der langen Wüstenzeit mit Mose spricht und ihm von der wirklich großen Aufgabe berichtet, die er für ihn hat, mag man ein Detail gerne überlesen. Mose fallen in dem Dialog sehr viele Argumente ein, die das alles unfassbar erschweren, aber das wohl merkwürdigste im wahrsten Sinne ist der große Zweifel an ihm selber. Er sagt, er kann sich nicht so gut ausdrücken und zum Reden hätte er einfach kein Talent (2.Mose 4,10).

Da hat Gott sich ja mal richtig vertan. Einen derart unsicheren, zweifelnden und dann auch noch absolut ungenügenden Redner als Führer und Vertreter vor den Pharao zu schicken. Das offensichtliche ruft hier sehr laut und ich ertappe mich beim Nicken, als Mose vorschlägt, Gott solle doch lieber einen anderen nehmen. Man ist versucht, im Sinne des bestmöglichen Erfolges, dringend auf einen anderen zu pochen. Zu massiv winken alle Gründe, die gegen Mose in dieser bedeutungsvollen Position sprechen.  Wir wollen doch, dass es auch klappt. Hier geht es um etwas und wir können uns nicht erlauben, den in den Boxring zu schicken, der voller Angst und Zweifel die Hände in den Taschen vergräbt. Hier spricht das offensichtliche für sich. Wir haben nachgedacht und nun sind wir uns einig, es muss jemand geeigneteres her.

Vielleicht sind es gar nicht so oft die anderen, die uns derartige Bestätigung für unsere Fehler und Zweifel entgegen schießen, sondern die Schlacht im eigenen Kopf. Die Stimmen, die uns darauf hinweisen, dass die Aufgabe, von der wir denken, dass Gott sie uns gegeben hat, besser ein anderer übernimmt und die Berufung, die still flüsternd in uns schlummert, nichts ist, dem wir gewachsen sind. Zu groß, zu hoch, zu unqualifiziert.

Gott ist nicht beeindruckt davon, was wir im gegenwärtigen Augenblick über uns aussprechen. Die endlosen Zweifel von Mose verunsichern Gott nicht. Er hat jedes Mal eine Lösung parat, für die Probleme, die Mose vorbringt. Selbst für seine ungeeignete Rednerqualität stellt er ihm jemanden zur Seite.

Dennoch, er erlässt ihm nicht die Aufgabe, er passt sie auch nicht an oder weicht irgendwie davon ab. Eine Salbung für etwas zu haben, ist eben nicht anpassbar. Gott betont in dieser Unterhaltung, dass er der Gott ist, der den Menschen den Mund gegeben hat und sie taub oder stumm machen kann. Kurzum – er kann alles. Er könnte Mose mit Leichtigkeit zu einem gewaltigen Redner machen und ihm eine vortreffliche Redegabe geben. Aber warum tut er es nicht?

Könnte es sein, dass Gott keine unqualifizierten Menschen beruft? Könnte es sein, dass Gott tiefer sehen kann, als nur bis zu unserer Wand der Selbstzweifel? Könnte es sein, dass Moses Problem der schweren Aussprache, das Resultat einer langen einsamen Wüstenzeit war und einer inneren Stimme, die ihn des Versagens angeklagt hat?  So weit, bis er sich selber seiner eigenen Fehlerhaftigkeit und ungenügenden Person sicher war. Er wusste ganz genau, er ist nicht in der Lage, der Führer dieses Volkes zu sein und vor den Pharao zu treten. Egal wie groß Gottes Zuspruch und Bestätigung für seinen Weg war.

Könnte es sein, dass wir uns selber disqualifizieren? Dass wir als Summe unserer Erfahrungen, der Worte, die man über uns ausgesprochen hat und der vielen Jahre, die bereits vergangen sind, keinen Zweifel mehr daran hegen, dass wir nicht die richtigen sind. Gott, ich denke, du nimmst besser einen anderen. Ich kann das jedenfalls nicht.

Mose brauchte im fortlaufenden der Geschichte niemanden mehr an seiner Seite, der für ihn spricht. Er war ein großartiger und weiser Führer und der, mit dem Gott wie mit einem Freund redete. Ich finde keinen Moment von schwerer Zunge bei ihm, im Gegenteil lesen wir von einem so starken und cleveren Mann, der mehr als qualifiziert war.

Vielleicht wusste Gott eben genau das und hatte keine Sorge, ob er denn tatsächlich ein Redeproblem hat. Wenn er dieses gehabt hätte, würde Gott ihn eben so wunderhaft davon heilen können, aber da er das nicht tut, war es vielleicht das Problem der Selbstzweifel, die ihn so veränderten und unfähig machten. Die Angst vor der eigenen Unfähigkeit kann uns lähmen und derart entstellen. Dann brauchen wir keine Heilung von irgendwelchen Schwächen, die wir vermeintlich haben, dann ist das einzige was in uns geheilt werden muss, der Blick auf uns selber.

Und wie kann der sich verändern? In dem wir in der gleichen Weise auf uns blicken, wie Gott es tut. Er schaut durch die Wand der Zweifel hindurch und räumt liebevoll die mühsam errichteten Türme der Fehlerhaftigkeit beiseite. Wir haben so eifrig daran gebaut, an dem entstellten Selbstbild. Unter all dem kommt meist etwas zum Vorschein, was uns an die Leichtigkeit aus früheren Zeiten erinnert. Eigentlich waren wir doch gar nicht so verklemmt. Eigentlich waren wir immer mutig und haben etwas gewagt. Wir haben ausprobiert und sind kühn an Herausforderungen getreten. Und dann ist das Leben passiert und das Scheitern und die vielen Menschen, die uns ihre Meinungen mit auf den Weg gegeben haben. Zurück blieb ein Herz, das sich etwas in der Wüste verkrochen hat. Vielleicht ein bisschen in Selbstmitleid badend, vielleicht auf eine seltsame Art friedlich mit der Gegenwart arrangiert – aber ganz sicher weit weg von dem, was Gott für dich will.

Jetzt lädt Gott dich also ein, hier ist dein Auftrag. Insgeheim wusstest du ja auch die ganze Zeit, dass du nicht dafür geboren wurdest, in dieser Wüste zu leben. Aber die Sicherheit über alle deine Fehler und wie ungenügend du bist, ist lauter als das JA, das in dir wiederhallt.

Gott ist aber nicht sehr nachgiebig in dieser Sache und sagt „Geh trotzdem. Mach es trotzdem“

Er heilt dich nicht von den Schwächen, die dich ja so massiv disqualifizieren, denn – die gibt es in Wirklichkeit ja gar nicht. Sie sind das Produkt einer langen Reise voller Selbstanklage und Verdammnis. Gott hat dich fähig dazu geschaffen, deiner Berufung gerecht zu sein und sie auszuführen. Seine Salbung liegt in dieser Sache auf dir und er vertraut darauf, dass du es gut machen wirst. Er vertraut den lehrreichen Jahren aus der Wüste, die hinter dir liegen und vertraut seiner eigenen Schöpfung. Er vertut sich nicht.

Mose beginnt seinen Weg als Führer der Israeliten, während seine Fehler noch an ihm kleben. Es fällt nicht einfach alles von ihm ab. Er ist gehorsam und gleichzeitig nicht plötzlich überzeugt von seiner Fähigkeit. Gott ist voller Gnade und geht sogar auf seine aktuellen Schwächen ein, aber er lässt ihn nicht erst üben oder was auch immer. Er beruft ihn mit seiner Angst und seinen Zweifeln. Aus dem einfachen Grund, dass Nachfolge und Gehorsam nur unterwegs eine Bedeutung haben. In der Passivität gibt es keinen Gehorsam. Sie ruht in der Entscheidung, Gottes Willen zu tun, obwohl uns das offensichtliche lähmen will. Wir heilen manchmal erst dann von dem, was uns über Jahre aufgehalten hat, wenn wir beginnen.

So nun also zur Birme.

Es ist Apfelzeit und vor unserem Haus stehen tolle Apfelbäume. Meine Mutter kocht herrlichen Apfelmus und erlaubte meiner vor gut einem Monat eingeschulten Tochter die Etiketten zu beschriften. Die Kombination aus Apfel und Birne sollte nun also mit „Birne“ deutlich gekennzeichnet sein. Wäre ich dabei gewesen, hätte ich töricht wie ich bin vermutlich meinen Sohn (der in der 3, Klasse ist) für diese Aufgabe vorgeschlagen. Ich weiß gar nicht, ob ich das erklären muss. Es ist so offensichtlich, dass er sicherer im Schreiben ist und ich würde wollen, dass es auch leserlich ist.

Heraus kamen bei diesem kleinen Küchennachmittag also einige Gläser, die wunderbar mit der Aufschrift „BIRME“ beklebt wurden. Seitdem heißt es nicht mehr anders bei uns, ein kleiner Hausfamilien-Insider quasi.

So vieles hat sie nun wirklich offensichtlich disqualifiziert für diesen Job und man denkt, ein anderer wäre besser dafür. Aber sie hat sich der Aufgabe gestellt in Anbetracht der im Raum stehenden Argumente gegen sie und hat angefangen das zu tun, worum sie gebeten wurde. Sie hat es wunderbar gemacht, wenn auch nicht fehlerfrei. Aber alle Gläser danach, von Zimt, bis Zitrone über Pflaume wurden wunderbar von ihr beschriftet. In erster Linie mit Mut und Sicherheit. Sie fühlt sich großartig den Platz meiner Schwester einzunehmen, die vor ihr Gläser in Perfektion beschriftet hat. Doch seit sie nicht mehr da ist, war diese Position leer und wir haben nun einen würdigen und sehr glücklichen Nachfolger gefunden. Und wir sind um ein paar Birmengläser in unserem Keller reicher.

 Perfektion ist nicht gefragt. Sondern Gehorsam.

Wir müssen anfangen, dem zu folgen, was Gott von uns möchte, obwohl alles dagegen zu sprechen scheint und nicht einfach von uns abfällt. Manche Wiederherstellung und Heilung geschieht erst, wenn wir losgehen. Ein Schritt nach dem anderen und das Vertrauen Gottes in uns und seine offensichtliche Hand auf unserem Weg, seine Zeichen die unsere Salbung bestätigen, all dies lässt die Unfähigkeit, an der wir so festgehalten haben, nach und nach schmelzen, bis wir glauben, wozu er und berufen hat.

 

 

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