Ausweichmanöver

Es ist noch nicht richtig hell und ich gehe mit jedem Kind an einer Hand den vertrauten Weg zum Kindergarten und weiter zur Schule. Wir sind müde, es ist ungemütlich kalt und ich versuche gute Gespräche mit sehr kleinen Menschen zu führen. Wir reden über dies und das und plötzlich ist sie da.

 

Direkt vor uns! Wir stoppen augenblicklich und ich ziehe beide Kinder instinktiv zurück - die Invasion der Nacktschnecken! Es sind viele und offensichtlich haben sie vor, den Fußgängerweg zu überqueren, wobei man das ja gar nicht so genau sagen kann, weil keinerlei Bewegung mit dem bloßen Auge wahrnehmbar ist. Wie kann meine eine Richtung bestimmen, ohne eine Bewegung zu sehen? Genau genommen verharrten sie verteilt auf großer Fläche – würde ich der Korrektheit wegen behaupten. Aaaber (!) – und jetzt kommt‘s – diese kleinen, schleimigen Tiere kenne ich gut. Wir haben so eine Art stillen Konflikts miteinander. Keiner spricht es offen aus und doch steht es riesig groß im Raum.

Ich weiß, sie sind langsam, gerne in Gruppen unterwegs und obwohl man keinerlei Bewegung wahrnimmt, kommen sie vorwärts. Vor allen Dingen aber, sind sie immer plötzlich da und das kann ich mit meinem Kopf einfach nicht begreifen. Man kann ihre Geschwindigkeit durchaus kritisieren aber trotzdem schaffen sie es urplötzlich den Weg einzunehmen. Naja. Ich schweife etwas ab.

Jedenfalls tippeln die Kinder und Ich nun vorsichtig durch das schleimige Labyrinth, um bloß auf keine der Nacktschnecken draufzutreten und stapfen weiter, beruhigt, dem Unheil einer zermatschten Nacktschnecke entkommen zu sein.

Wie ich nun also meines Weges gehe, erinnere ich mich, wie oft ich mit dem Fahrrad ein solches Ausweichmanöver zu bewältigen hatte. Im ersten Moment schürt es meinen Ärger über diese sehr außergewöhnlichen Tiere aus Gottes Schöpfung, aber schon fliegen meine Gedanken viel weiter…

Da ist die Nele. Nele hat seit geraumer Zeit ein Problem mit Kira. Es ist immer wieder das gleiche und eigentlich würde sie ihr das gerne sagen, aber so schlimm ist es ja auch nicht und vielleicht merkt sie es ja selber, oder noch besser, jemand anderes redet mit ihr. Kira weiß von alledem überhaupt nichts. Nun vergehen Monate und bald ist ein Jahr rum. In der Zwischenzeit, ist es nicht einfach nur wie am Anfang, nein, jedes Mal wenn die beiden aufeinander treffen, wiederholen sich die Situationen und jedes Mal nimmt Nele etwas mehr Ärger mit aus dem Zusammentreffen.--

…Etwas mehr von dem Ärger, etwas mehr von der Abneigung gegen sie baut sich auf und die kleine Tasche, in die das Problem anfangs noch passte, reicht selbstverständlich längst nicht aus und Nele reist nun mit einem kleinen Koffer – irgendwo müssen die ganzen Gefühle und Gedanken ja schließlich rein. Kira weiß immer noch nichts davon, jedoch merkt sie, dass Nele ihr nicht mehr so aufgeschlossen gegenüber ist. Nicht nur das, seit kurzem ist sie zwischendurch sogar richtig patzig und unfreundlich, wenn Kira einen Vorschlag macht oder sie nach etwas fragt. Es verwundert sie zwar, aber wer weiß, vielleicht geht es Nele ja nicht so gut. Nele steuert nichts bewusst. Sie geht nach wie vor dem Gespräch aus dem Weg und bemerkt gar nicht wie das Last des mitgeschleppten Koffers ihr das Leben schwer macht, ihre Worte bestimmt und ihre Reaktionen dominiert.

Zurück zu meinen Freunden, den Nacktschnecken. Wenn ich mit dem Fahrrad um die Kurve fahre, und plötzlich sehe ich vor mir ein eben solch schleimiges Exemplar. Dann versuche ich bei vollem Tempo eben schnell auszuweichen und das Schnecklein zu umfahren. Und hier ein Wortspielt, weil es so schön ist: umfahren ist das Gegenteil von umfahren. Herrlich, oder?

Genau das will ich ja nicht, ich vermeide es tunlichst, die Schnecke umzufahren, daher der dringende Versuch dem Unheil auszuweichen. Aber in meiner gigantischen Konzentration auf dieses eine Tier, habe ich die Parade von Schnecken auf meinem Weg übersehen und ratet mal, was dann mit hoher Wahrscheinlichkeit geschieht? Der große Onkel von erfolgreich geretteter Schnecke Nr. 1 fällt meinem Rad zum Opfer und glibberige Dinge verteilen sich unter mir auf dem ganzen Weg. In meinem krampfhaften Versuch, die eine Schnecke nicht zu erwischen, übersehe ich, dass eine um ein vielfaches größere direkt danach kommt und natürlich auf genau dem Schlenker, den ich mache um auszuweichen, erwische ich diese. Das ist nicht nur sehr ekelig, es ist vor allem bei weitem nicht so schlimm, wie das was den vorher beschriebenen zwei Damen passiert. Nichts für ungut, aber ich starte hier leider keine Petition für den Schutz von Nacktschnecken, daher widme ich dem Familiendrama der Nacktschneckenfamilie nun keine Aufmerksamkeit mehr.

Was passiert, wenn Nele sich mit aller Konzentration dem Ausweichmanöver um den Konflikt mit Kira widmet? Sie übersieht absolut, dass ihr auf dieser Kurve ein viel größeres Problem begegnet.

Anfangs war das alles nicht so schlimm. Es war noch klein. Inzwischen ist es riesig groß gewachsen, beeinflusst, ohne dass sie es merken, jedes ihrer Gespräche und gemeinsamen Projekte. Und dann kommt dieser eine Moment, wenn es irgendeine unbedeutende klitzekleine Streitigkeit gibt, Nele hat sowieso keine gute Laune und viel Stress um die Ohren und was meint ihr, wie das dann knallt. Das ist keine kleine Schnecke, das ist eine von den großen, die mit richtig viel Matsche auf den Hüften. Die versauen gleich den ganzen Weg, statt nur den einen Fleck.

Nele und Kira haben nur eine kleine Unstimmigkeit in dem Moment, aber Kira weiß ja auch nichts von dem großen Koffer, der da neben Nele steht. Und glaubt mir, plötzlich wird der ausgepackt. In einer Wucht, dass nur so die Worte und Vorwürfe fliegen. Wahrscheinlich ging es nur darum, wer jetzt Kaffee mitbringen sollte, aber plötzlich geht es um Monate alte Anklagen, um Situationen, die ein Jahr zurück liegen. Der Konflikt, der plötzlich gefühlt aus dem nichts gesprungen kam, eskaliert völlig und steht zu keinem Prozent im Verhältnis zur aktuellen tatsächlichen Situation.

Aber es könnte anders nicht kommen, habt ihr mal einen Koffer mit Reisverschluss zugemacht, der viel zu voll war? Da braucht es ja nicht viel Aufwand, dass das ganze aufspringt und zerreißt. So ist das auch hier. Manchmal findet sich jemand in einem Konfliktgespräch wieder, das vor Anklagen und gesammeltem Frust nur so überläuft und ist völlig überfordert, weil das unfaire Verhältnis natürlich ziemlich fragwürdig ist.

Es mag sein, dass wir uns auf die Schulter klopfen, weil wir so vermeintlich weise und erfolgreich ein Problem mit uns selber ausmachen, aber wehe dem dicken Onkel der dir auf deiner Ausweichkurve droht.

Wir halten also fest, es ist nicht immer klug, einem Konflikt auszuweichen, weil das Drama, das daraus wächst viel größer wird, als das ursprüngliche. Ein idealer Weg ist es, die besagte Person zügig anzusprechen in einem Moment persönlicher innerer Stabilität und möglichst guter Laune und Seelenfrieden. Man schaut gemeinsam auf das kleine Schnecklein, das da auf eurem Weg liegt, spricht darüber und räumt es dann vorsichtig beiseite an den Rand.

Ebenso gibt es weitere Schwierigkeiten mit dem hinausgezögerten Gespräch. Die schleimige Spur, die der große Onkel Schnecke hinterlässt bei der Explosion, ist nicht nur eine riesen Herausforderung für die zwei, nein, es ist der Boden auf dem auch viele weitere ausrutschen. Ein gemeinsames Projekt oder ein gemeinsamer Dienst, bei dem eine solche Eskalation geschieht, zieht so viele mit rein. Andere wurden im Laufe der Zeit in vertrauensvollen Gesprächen ÜBER das Problem mit Kira eingeweiht und mit einem kleinen unwohligen Gefühl aus Neles Reiseköfferchen beschenkt. Und so geht das immer weiter… Am Ende sind viele Menschen involviert und vor allem können ganze Gemeinden irre Spaltungen durchleben, weil die Konflikte zwischen einzelnen zu Bergen wachsen und am Ende zieht es alle mit. Keine einzige Schneeflocke in der Lawine, wird sich je verantwortlich fühlen. Es ist immer das Zusammenspiel aus so vielen kleinen Dingen, die am Ende nur einer einzigen Sache verschuldet sind: FEHLENDER KOMMUNIKATION UND AUFRICHTIGKEIT!!!

 

Was ist denn richtig? Sicherlich nicht jedes kleine bisschen, das mich am anderen stört beim Namen zu nennen. Im Sinne der „Eskalationsvermeidung“ haben schon manche viel Unheil angerichtet und Herzen zerstört.

Wenn ich ein Problem habe, das mich mitten drin im Alltag einholt und in meinen Gedanken aufblitzt. Wenn der Heilige Geist ganz vorsichtig seinen Finger auf etwas legt und ich spüre, da ist etwas unruhiges im Zusammenhang mit jemandem und es geht nicht einfach weg. Oder wenn ich merke, ich führe immer öfter Gespräche mit anderen über diese Sache, dann weiß ich (wenn ich nicht gerade ein furchtbares Lästermaul bin) gibt es da eine Angelegenheit, über die ich mit Person XY reden sollte.

Unsere Intention ist immer die Wiederherstellung von mir und anderen und dem Miteinander. Wenn das ein Motto bleibt, funktionieren auch Konfliktsituationen ohne Explosion.

Außerdem ist es so wichtig, nicht zum Gespräch zu bitten, während ich selber am Boden bin. Warte auf einen Moment, wo es dir gut geht und du ehrlich stabil bist. Unsere Gefühle rufen so laut, dabei wollen wir ja unser Herz sprechen lassen. Das alles zeigt, was du möchtest, hältst du dich an solche Regeln, ist offensichtlich, dass du die Wiederherstellung willst. Missachtest du das kleine ‚Benimm- Einmaleins‘, ist die Zerstörung dein Auftraggeber. Und den Chef der Zerstörung kennen wir, der kommt nie allein und hört nie auf, wenn er erst einmal angefangen hat.

Der, der die Wiederherstellung der Dinge bringt, ist Jesus. Wenn er mit seinem Licht kommt, dann glauben manche verschwinden alle Nacktschnecken auf meinem Weg. Und voller naiver Glaubenseuphorie stapfen sie munter in die Nacktschneckenmenge. Ich glaube, dass das Licht von Jesus den Weg vor uns und die vor uns liegende Nacktschnecken Parade in Gänze ausleuchtet und dann liegt es an uns. Jetzt wo wir die Dinge klar sehen, die Konflikte und ungelösten und nicht vergebenen Angelegenheiten deutlich vor uns beleuchtet ausgebreitet sind, können wir uns daran machen, die Nachtschnecken gemeinsam oder alleine vorsichtig MIT LIEBE und Behutsamkeit aus dem Weg zu räumen. Dafür müssen wir was tun? Stehen bleiben!

Wir können das nicht tun, bei voller Geschwindigkeit. Wir müssen unbedingt von unserem Fahrrad absteigen, innehalten und Jesus bitten, dass sein Geist den Weg vor uns – unsere Seele – hell beleuchtet, so dass wir gemeinsam mit ihm Ordnung schaffen können.

Sein Licht zaubert nicht alles einfach weg, es beleuchtet die Dinge. Sein Licht in unserem inneren, weckt immer den Wunsch es in Ordnung zu bringen und Wiederherstellung zu suchen. Er schafft Einheit und Frieden.

Jesus hat keinerlei Scheu gehabt, die Konflikte anzugehen. Es ist ein böser, ganz und gar nicht christlicher Irrsinn, Dinge unter den Teppich zu kehren wäre angebracht. Es ist böse, weil es das Unheil und die Zerstörung überhaupt erst möglich macht. Alles, was wir in Frieden zügig klären, ist erledigt. Aber die Dinge, die wir vermeintlich christlich aushalten und somit verdrängen –für Jesus- sind der Garant für eine Eskalation, die nicht im Verhältnis steht, den anderen völlig zerstört und das Miteinander verpestet. Das ist der Stoff aus dem Gemeindespaltungen in der Regel gestaltet werden. Oft unter einem Deckmantel von süßen Ausreden. Aber meistens gibt es unzählige ungesagte Dinge, bei denen man versäumt hat, vorher eine aufrichtige von Liebe bestimmte Unterhaltung zu führen. Es ist völlig normal, dass Wege sich trennen und wir manchmal auch aufgrund von Meinungen getrennte Wege einschlagen. Das ist absolut in Ordnung und normal, aber es bauscht sich immer deshalb so auf, weil wir nicht auf unsere Kommunikation achten und sie in unseren Kreisen wenig ansprechen und pflegen.

 

Ich träume davon, dass unser Miteinander und das Zwischenmenschliche von Jesus Licht durchleuchtet wird und wir Heilung dort erleben. Es ist genug, dass wir falsche Harmonie Bedürfnisse, falschen Machtmissbrauch und zerstörerische Attacken aufeinander erleben. Jesus möchte unsere Kommunikation heilig machen und unser Miteinander gesund. Emotional gesunde Gemeinden, die ein Licht in dieser Welt sind.

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Kommentare: 1
  • #1

    Mila (Donnerstag, 17 Februar 2022 15:32)

    Du schreibst so toll! Lebhaft, erfrischend und tiefgreifend. Ein Genuss! Danke Dir