ge·nüg·sam /genǘgsam/ Adjektiv

"Zufrieden sein bedeutet nicht, alles zu haben, sondern das Beste aus allem zu machen."

 

"Wer nicht zufrieden ist mit dem, was er hat, der wäre auch nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte." Berthold Auerbach

 

"Das Leben ist nicht immer so, wie man es sich wünscht. Der einzige Weg, um glücklich zu sein, ist das Beste daraus zu machen."

Jennie Churchill

 

Diesmal ist mein Sohn meine Inspirationsquelle. Ich erzähle euch mal kurz die Geschichte zu dem hübschen Bild:

Wir waren gerade dabei uns für die Geburtstagparty meiner Nichte fertig zu machen und sämtliche Ideen in die Realität zu befördern, als uns ein wenig kooperativer Drucker dabei behinderte.

Mein Sohn wollte gerne ein Bild für seine Cousine malen. Ein Dino, sowie ein Geschenk sollten dort abgebildet sein. Google hilft den verzweifelten Plänen kleiner Künstler gern weiter, deshalb druckten wir das hübsche Ausmalbild aus. Aber! Das klappte nicht. Mit vielen Hindernissen und einer Menge Zeit, die gnadenlos verschluckt wurde und anschließend natürlich fehlte, hatten wir schließlich nichts anderes in der Hand, als ein Blatt Papier, auf dem bloß der halbe Dinokopf zu sehen war, mit einigen Luftballons und einer halben Torte. Es war vielleicht ein Drittel ausgedruckt.

Das merkwürdige halbe Bild störte meinen Sohn nicht, hielt meiner Prüfung aber nicht stand. Also ließen wir uns was anderes einfallen und flitzten zum Geburtstag. 

Kurz darauf ging ich durch die Küche meiner Eltern und sah dort an der Magnetwand unseren halben Dino, hübsch ausgemalt, hängen.

Er fiel mir so ins Auge, weil es nicht zu übersehen ist, dass dem Bild eine Menge fehlt. 

Mein Sohn und seine Oma haben in ihrer selbstverständlichen Einfachheit dem Bild seine würdige Farbe verliehen. Ob da etwas fehlt, war nicht das Thema, es war etwas da, und das musste gefälligst ausgemalt werden.

 

Ich bin wieder und wieder und wieder an diesem Bild vorbei gegangen und jedes Mal setzte es etwas in meinem Kopf in Bewegung und regte meine Gedanken an. Das Bild war ganz offensichtlich nicht komplett und doch hatte man das Gefühl, ihm fehle nichts.

Es fehlten keine Farben und mit etwas gesunder Phantasie, war auch der Rest vom Bild zu sehen.

Ich war gänzlich gefesselt von dieser Genügsamkeit, die das Bild ausstrahlte. Es erinnerte mich an ein Zitat von Goethe, dass ich auf einer Karte aus dem Sammelsorium meiner Schwester gelesen hatte und das mich mein Leben lang seitdem verfolgt.

"Aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."

 

Einfach mal das, was man hat, mit Farbe anmalen. Einfach mal die Steine, die auf meinem Weg liegen, nehmen, und einen hübschen Turm bauen. Einfach so. Einfach, weil es geht. Einfach weil man ein halbes Bild genauso anmalen kann, wie ein ganzes.

Zu dumm, dass ich seine schlichte künstlerische Ader so abgelehnt habe. Jetzt, wo es mich so inspiriert, empfinde ich etwas stolz für seine genügsame Kunst.

 

Was bedeutet das? Es bedeutet, dass ich sehr oft nicht weiß, wie eine Sache zu Ende geht. Dass Steine auf meinem Weg liegen.

Es bedeutet, dass ich sehr oft eine Situation nicht verändern kann und sie so hinnehmen muss, wie sie ist. Was ich am Ende daraus mache, ist meine eigene Sache.

Ich kann mich sehr stark darüber aufregen, dass es so ist. Ich kann aber auch Genügsamkeit an den Tag legen, mir ein paar bunte Stifte schnappen und das, was ich habe, bunt anmalen.

 

Es ist mir nicht möglich, über dieses Thema zu schreiben, und meine Mutter dabei nicht ins Spiel zu bringen. Es wundert mich gar nicht, dass das Bild in ihrer Küche hing. Und es ist mir nicht eine Sekunde neu gewesen, dass sie ihre Finger da im Spiel hat und woher der Wind weht.

Für sie ist es nichts außergewöhnliches, eine halbe Sache bunt auszumalen.

So viele Jahre beobachte ich sie nun und wenn ich nur eine Sache benennen dürfte, die sie mich gelehrt hat, dann das. Genügsamkeit. Die Dinge können wir so oft nicht ändern, aber es raubt mir weder den Lebensmut, noch verhindert es mein Lachen und meine aufrichtige Freude.

So ist sie. Tausende Male gab es einen Grund, das Handtuch zu werfen, den Zettel zu zerknüllen und wütend und verzweifelt zu sein.

Aber unzählige Male hat sie sich entschieden, das halbe Bild bunt auszumalen. Unzählige Male hat sie sich hingesetzt, die Steine genommen und geschaut, was man daraus wohl bauen kann.

Ich habe Tränen in den Augen von ihrem Mut und ihrer Stärke. Das Bild vom Stehaufmännchen trifft zu.

Einfach wieder aufstehen, ich kann es ja doch nicht ändern. Und es liegt an mir, ob ich daran nun verbittert und verzweifelt werde oder ob ich am Ende ein halbes ausgemaltes Bild habe. Ein halbes oder ein ganzes, bunt sind die Farben trotzdem. Ganz egal bei welchem Bild.

Aber die Stifte zu nehmen und zu malen ist immer meine eigene Entscheidung. Die Dinge kommen in unserem Leben immer unausgemalt auf uns zu. Aber mit welchen Farben wir sie füllen, liegt bei uns. Ich kann auch ein halbes Bild mit schwarzem Edding ausmalen. Durchaus möglich. Vielleicht reflektiert es auch ganz gut meine Bitterkeit und meinen Ärger darüber, dass ich nichts an allem ändern kann. Am Ende wird mich aber auch das gleiche halbe Bild mit seiner düsteren Schwärze begleiten.

Nur weil ich bunte Farben wähle, wird es nicht ganz, aber es ist ein durchaus friedlicherer und leichterer Weggefährte. Es wirkt fast so, als müsste es so sein. Es wirkt, als hätte ich Frieden.

 

Mein Leben fühlte sich meistens so an, als wäre ein ganzes Bild gar nicht möglich. Ich habe fast nichts verstanden und war gefühlt pausenlos Situationen ausgesetzt, denen wir ausgeliefert waren. Wir hatten keine Kontrolle, mussten jederzeit auf alles gefasst sein und haben einfach nicht verstanden, was das alles soll.

Da wir an Gott glauben, kriegt das ganze eine spannende Note.

Was ist denn das nun, wenn ich furchtbare Dinge erlebe und sehr harte Zeiten? Es ist meistens ein Grund, Gott den Rücken zu kehren. Seine Göttlichkeit anzuzweifeln. Ihn.

Ich habe viel gezweifelt. Am Ende weiß ich, Dunkelheit kommt nicht von Gott. In jeder Geschichte gibt es den Guten und den Bösen, auch in unserer Weltgeschichte ist das so. Und jeder kann sich in diesem Zusammenspiel für eine Seite entscheiden.

Die dunklen Dinge der guten Seite in die Schuhe zu schieben ist armselig. Das sind immer die spannenden Szenen, wo man wie verrückt hofft, dass sich alles aufklärt. Kennt ihr das? Diese blanke Ungerechtigkeit und es scheint, als wäre der Kampf verloren und die Bösen kommen davon.

Und daaaaaaann.... dann kommt der perfekte Plan und der Held, auf den wir so gewartet haben, bringt sie alle zur Strecke. Seine Plan ist strategisch, unvorhersehbar und so unfassbar perfekt, damit haben wir nicht gerechnet. Aber für das Happy End ist diese Wendung notwendig. Wir haben mit jeder Faser unseres Inneren den Wunsch, dass das gute gewinnt.

Trotzdem neigen wir dazu in der Realität, dem Guten die Bösen Dinge zuzuschieben. Gott ist gut.

Gott ist der Gute in dieser ganzen Sache und wenn wir das nicht begreifen, haben wir keine Chance irgendetwas zu begreifen.

In seiner ganzen vollkommenen Person ist er gut und nichts böses kommt von ihm.

Seine Absichten sind friedlich und voller Liebe. Das ist ein Fakt. Er ist biblisch und absolut wahr.

Das ist es, was ich glaube.

Weil ich weiß, dass am Ende das Gute gewinnen wird und wie perfekt und strategisch sein Plan ist, lasse ich mich jetzt nicht davon abbringen.

Ich bin mit vielen Situationen konfrontiert, die diese Haltung herausfordern. Aber das ist dann die Stelle, wo mir der Held der Geschichte mitten im Chaos und der unüberwindbaren Katastrophe seine Hand hinhält und sagt "Vertrau mir!"

Vertrau mir, dass ich das alles im Griff habe und eine Lösung parat. Vertrau mir, obwohl es gerade nicht danach aussieht, dass wir dieses Ding noch wenden und aus der Nummer rauskommen, vertrau meinem Plan. Ich habe einen Plan. Ich kann den unteren Teil vom Bild sehen. Ich kann diesen Dino längst ganz sehen. Jetzt vertrau du mir, nimm deine Stifte und mal bunt an.

 

Ich zweifele Gottes Souveränität nicht an. Ich erkenne an, dass er die totale Macht hat und die ganze Autorität. Ich habe nicht das letzte Wort! Und das allerbeste ist, die böse dunkle Seite hat auch nicht das letzte Wort. Das steht so fest. Und dein ganzes Inneres, mit seinem Glauben und seiner Hoffnung darauf, dass die Guten gewinnen, bestätigt das.

Deshalb nehme ich seine Hand, akzeptiere, dass ich nicht das ganze Bild kriege, und vertraue ihm.

Ich lasse meinen Willen los, meine Sicherheiten und meine Kontrolle und erkenne, dass Gott gut ist und ich in seiner Hand.

 

Dieses Thema ist so umfassend und ich habe die Dinge alle nur angekratzt. Ich liebe die tiefe Bedeutung daran.

Ich weiß, dass der Vergleich zu dem Bild für so tiefe Fragen im  Leben angebracht ist. Aber genauso gilt es für die banalen Dinge im Leben.

 

Wir sind vom Verkehr, bis zu schwierigen Menschen in unserem Umfeld, bis zu Küchenkatastrophen und bis zu der fehlenden Kontrolle über das Wetter damit konfrontiert. Wir sind ständig in Situationen, die wir nicht ändern können und wo es dann an uns liegt, was wir daraus machen.

Meine Mutter prägt eine Eigenschaft sehr stark in mir. Wenn etwas schlimmes droht und wir noch nicht wissen, wie das ausgeht, dann ist das kein Grund jetzt schon durchzudrehen und sich verrückt zu machen. Wenn eine harte Zeit tatsächlich eintrifft haben wir noch genug Gelegenheit, für die Emotionen und den Frust, die es mit sich bringen. Ich liebe diese Mentalität. Ich habe das schon wirklich sehr verinnerlicht.

 

Wir gewinnen so viel Frieden und Lebensqualität zurück, wenn wir unsere Buntstifte nicht aus der Hand legen. Wenn wir unseren Optimismus schützen, wie zerbrechliches Glas und zufrieden sind, mit den Dingen, wie sie halt manchmal sind.

Manchmal haben wir in Zeiten gelacht und Witze gemacht, in denen es von außen vielleicht völlig unangebracht schien. Aber wer sagt das? Es gibt keine Regeln für den Umgang mit halben Bildern.

Es ist so wichtig, sich Zeit zu nehmen, schwere Emotionen, Traurigkeit und Verzweiflung zu empfinden und zu erleben. Aber das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, was ich vorher beschreibe. 

 

Ich merke, wie viel friedlicher sich das halbe Bild in mein Leben einfügt, wenn es so voller Farben ist. Und das ist es ja, was wir brauchen.

Von Herzen wünsche ich den Ruhelosen, Ruhe. Den Pessimisten, Optimismus. Den Unzufriedenen, Zufriedenheit und den Meckertanten, Genügsamkeit... 

Und ich wünsche euch eine Begegnung mit dem Gott, der gut ist, der souverän ist und dessen Hand unglaublich nah ist. Der Gott, der einen Plan hat, die Welt rettet und das Böse besiegt hat!

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Larissa (Montag, 01 April 2019 22:25)

    Ich liebe diese GENÜGSAMEN Worte von Dir, Mirjam! Einfach mal: Danke! ♥️