Vielleicht nichts Neues

Nicht das Neue ist es, das uns bewegt.

Das Neue bewegt durchaus unglaublich viel und bringt oft viel Wirbel und Durcheinander mit sich. Aber es ist selten etwas gänzlich Neues, das unsere Herzen am tiefsten Punkt berührt.

Wir werden oft von neuen Bewegungen erreicht und viele meinen die Wahrheit dort zu finden. Ich habe meine Lektion gelernt. Es ist oft das, was wir schon lange wissen.

 

Wir wissen, dass Gott uns liebt. Wir wissen, dass das Kreuz uns rettet und dass Gnade unverdient ist. Und dann wagen wir uns vor zu neuen Ufern.

Auf unserer Suche, so meinen wir, erwartet uns längst die große Erkenntnis und mit ihr der absolute Wachstum. Am Ende stehen wir da, die Taschen voller Meinungen. Die große Erkenntnis scheint wohl wieder zu einem Neuen Pfad aufgebrochen zu sein und manch einer eilt hinterher. Beladen mit Hoffnung und einem Hunger nach der Wahrheit verfolgt man sie und hat neuen Schwung und neue Freude.

Man bleibt ruhelos. 

Jesus schaut uns wohl die meiste Zeit von der anderen Seite aus zu. Er beobachtet unsere Suche nach Wachstum und der richtigen Lehre mit traurigem Blick. Wachstum ist ohne Jesus geradezu unmöglich.

Jesus malt mit dem Finger im Sand und nicht weit weg laufe ich eilenden Schrittes von einer Veranstaltung zur nächsten und suche ihn. Ich will ihn wirklich finden.

Neben Jesus ragt ganz bescheiden das Kreuz in den Himmel auf. Das Zeichen seiner Liebe sagen wir.

Ich, auf meiner Suche, sehe es auch. Es ist mir entschieden wichtig und ich habe es stets im Blick. Immer bemühe ich mich, dass meine Sicht auf das Kreuz dort weiter hinten nichts trübt. Das ist nicht immer leicht aber ich gebe wirklich mein Bestes, ist es doch ein wichtiger Bestandteil in meinem Glauben.

 

Ich bleibe ruhelos.

 

In den Glaubensbekenntnissen von Augustinus findet man ein ergreifendes Zitat: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“

Ich denke, ich ruhe in ihm. Das weiß und glaube ich. Das haben wir ja immer so gesagt…

Schleichend erreichen mich ernste Zweifel.

Zwischen Alltag und Hektik, inmitten von den Herausforderungen meiner frischen Ehe, zwischen all den Sorgen um meine Beziehungen und dann noch der Suche nach einem festen Glauben, der zudem auch noch reif und all den Aufgaben gewachsen sein muss – mitten drin bahnen sich Zweifel ihren Weg.

Es liegt Druck auf unserem zarten Leben. Wir sind so bestrebt nach optimalen Bedingungen und wollen so reif und erfahren sein. Unzählige Ratschläge in Form von Büchern und Seminaren, fast scheint es unmöglich etwas falsch zu machen oder es kann zumindest mit Leichtigkeit ausgebessert werden. Hand aufs Herz – ich bin weder reif noch erfahren.

Ich bin von dem Druck erschlagen und die zusätzliche Suche nach geistlichem Wachstum fordert mehr Kraft als ich aufbringen kann. Es fehlt mir nicht an Mut oder Willensstärke. Vielleicht ist man auch einfach entmutigt von tausend Rückschlägen und falschen Ansätzen.

Ich bin wohl kaum die Einzige, die am liebsten den Kopf in den Sand stecken würde und definitiv dort bleiben wird.

Ich suche nicht nach der Auszeit, bei der ich mich kurz hinsetze, zur Ruhe komme und die Probleme vergessen soll. Ich suche nach diesem Frieden und der Ruhe die bleibt, auch wenn ich mich längst wieder den Kämpfen meines Lebens stelle.

Der Frieden, der auch spürbar bleibt wenn ich wieder endlos gestresst bin.

Nicht die Ruhe für den Leib, sondern für Seele und Geist.

Ich drehe mich um und sehe wie jedes Mal das Kreuz fern ab von all dem Treiben hier. Es ist mir wirklich vertraut. Es wirkt selbst aus der ferne immer noch groß und eindrucksvoll.

Ich verspüre den Drang dort hin zu laufen.

Langsam bewege ich mich darauf zu und es fühlt sich irgendwie richtig an.

Immer näher rückt es. Ich glaube jemanden dort stehen zu sehen.

Wieder ergreift mich dieses Gefühl, Jesus nah sein zu wollen. Seither wurde man vertröstet mit flachen Ratschlägen, dass Wissen um seine Gegenwart reiche doch aus.

Das ist es aber nicht, was ich suche. Ich weiß es doch schon immer.

Ich will es spüren. Fühlen. Am ganzen Körper umarmt sein. Ich will darin baden, in diesem Gefühl von wahrem Frieden und der Wahrheit. Und ich will, dass es bleibt.

 

Schließlich bleiben nur noch wenige Schritte. Es sieht vollkommen anders aus, wenn man davor steht. Noch viel größer und massiver. Ich bin unendlich klein daneben.

Ich lege zögernd eine Hand auf das raue Holz. Es ist von Wind und Wetter unmerklich gealtert, aber genauso beeindruckend wie eh und je.

Ich fahre langsam über die tiefen Furchen und bin erschlagen von der unglaublichen Anziehung.

Ich war mir so sicher, dass ich es kenne. Ich habe es Tag für Tag gesehen. Unzählige Lieder habe ich gesungen und jetzt – jetzt fällt mir kein einziges mehr ein.

Meine übliche Sicherheit hat sich in Scham gewandelt und mein Blick schweift etwas höher. Ein ganzes Stück weiter oben bleibt mein Blick hängen. Nägel. Da sind Nägel im Holz.

Ich bin mir der Bedeutung bewusst, aber warum bin ich so durcheinander? Warum ergreift mich dieser Anblick so? Warum scheint es mir, als wären all die Dinge, die ich weiß, so weit weg? Fast schon fremd. Meine Suche und die vielen künstlichen Begegnungen mit Jesus wirken hier regelrecht arm. Ich habe ihn gesucht, aber wo?

 

„Überall“, sagt eine warme Stimme hinter mir. „Du hast mich überall gesucht. In jeder neuen Theorie und Auslegung und in jedem Seminar über heilsame Begegnungen. Du hast dich abgeschottet, um zur Ruhe zu kommen, hast geredet ,um zur Ruhe zu kommen. Du kamst zur Ruhe und bliebst doch ruhelos.“

 

Jesus. Er musste mir nicht sagen, wer er war. Glaubt es mir – man weiß, wenn der Retter deines Lebens vor dir steht.

Ich sinke zu Boden. In mir zerbricht etwas.

„Wie lange geht das schon so?“, frage ich ihn. Er kommt zu mir und setzt sich neben mich auf den Boden, den Rücken an das Kreuz gelehnt. So sitzen wir da eine ganze Weile.

 

„Schon lange.“ Jesus lächelt und deutet mit dem Finger auf das weite Land, das sich vor uns erstreckt. „Du warst hier, als alles begann. Dann wurdest du immer älter und sehr vieles hat dich umgeworfen, doch die Kraft meiner Liebe, die von hier ausströmt, hat dich immer wieder hoch geholt. Ihr habt Freiheit. Die Kinder Gottes sind nicht eingesperrt in einen Rahmen, sie können sich frei bewegen. So auch du. Du hast mich gesucht.

Hast dich mit deiner Energie mitten rein gestürzt in die Diskussionen und die vielen Konversationen. Du hast gekämpft für das, was du für richtig empfunden hast. Noch mehr wachsen, noch mehr lernen – das ist gut! Aber du warst so weit weg von hier.“

 

Innerlich bebte ich und die ersten Tränen bannten sich einen Weg.

„Hier an meinem Kreuz ist der Ort, wo du morgens aufstehen und abends wieder schlafen gehen solltest. Von hier aus solltest du alle Entscheidungen treffen, alle Worte und Ratschläge überdenken. Nicht im grellen Licht der vielen Theorien und Diskussionen um Richtig und Falsch. Genau hier! Im warmen Licht des Kreuzes, wo alles, was zählt, meine Liebe ist, siehst du alles viel klarer.“

Ich wische meine von Tränen feuchten Wangen trocken.

 

„Hier bin ich.“, sagt Jesus leise.

 

Es macht mir nichts aus, dass ich schluchze wie ein kleines Kind. Ich spüre, wie etwas tonnenschweres von mir abfällt.

Die Suche nach Jesus und der Wahrheit ist so viel einfacher. Den, der mich liebt wie kein anderer, suche ich dort, wo seiner Liebe Taten folgten. Ich suche Jesus dort, wo die Gnade nicht nur ein Teil meines Glaubens ist, sondern mehr – Gnade ist das wohl Stärkste und Wärmste das mein Herz je berührt hat.

Plötzlich weiß ich nicht einfach nur, dass Jesus mich liebt. Ich spüre es an meinem ganzen Körper. Ich fühle mich so unendlich frei, fast schon kann ich fliegen!

Ich kaufe Brot beim Bäcker und Blumen beim Floristen und habe schlichtweg vergessen, dass ich Jesus am Kreuz finde. Es gehört eigentlich selbstverständlich zusammen. Er ist auferstanden aber das Kreuz bleibt für immer und ewig das Symbol meiner Vergebung. 

Ich habe inmitten meiner Suche und all dem Wissen um seine Person den Blick für das Wesentliche verloren – für die Wahrheit.

Es gibt einige grundlegende Dinge in meinem Glauben.

Jesus hat sein Leben gegeben damit ich Erlösung und Frieden finde.

Dahin habe ich zurück gefunden und ich bin überrascht von dem Frieden der mich beim Kochen genauso wie im Gottesdienst und jeder Konversation gleich bleibend erfüllt.

 

Ich habe verstanden, nicht das Neue bewegt unsere Herzen, sondern diese uralte Liebe.

Nichts Neues kann die Botschaft vom Kreuz ersetzen. Nichts kann eine Seele so heilen, wie die Nähe des Kreuzes. Nichts wehrt so viel Unheil und Schaden ab, wie das Bewusstsein der Gnade Gottes. Keine Predigt der Welt kann ein Herz so fesseln, wie die einfachen Worte vom Blut, das für uns vergossen wurde.

Nichts soll mich jemals wieder so weit weg vom Kreuz bringen. Hier habe ich Jesus gefunden. Hier bin ich so voller Glück und Leichtigkeit, obwohl sich die Berge von Problemen nicht in Luft aufgelöst haben.

Am Kreuz stehe ich nun morgens auf und hier lege ich mich abends wieder schlafen.

Danke, Jesus!